





Das Werk von Harry Rosenthal (1892 Posen - 1966 London) haben wir durch den Architekturkritiker Julius Posener entdeckt, der von Rosenthal als einem der vier wichtigsten jüdischen Architekten schrieb, die in den zwanziger Jahren in Berlin vor ihrem Exil tätig waren – neben Erich Mendelsohn, Arthur Korn und Alfred Gellhorn. Das veranlasste uns, sein Werk (und das seiner Zeitgenossen) genauer zu betrachten. Wir besuchten die wenigen, stark veränderten Überreste seiner noch in Berlin existierenden Projekte. Sylvia Claus’ Buch, welches 2006 erschienenen ist: Harry Rosenthal – Architekt und Designer in Deutschland, Palästina, Großbritannien, haben wir geradezu verschlungen. In dem Buch hat Frau Claus sich intensivst mit seinem Archiv, welches in der der Berliner Akademie der Künste aufbewahrt wird. Harry Rosenthal wurde 1928 gebeten, seine Arbeiten auf der Möbelmesse in Düsseldorf zu präsentieren. Diese Arbeit inspirierte uns für die AD-New Perspectives-Werkschau, in der Sie jetzt stehen. Wir wollen die Möglichkeit dieser Plattform nutzen um Rosenthal und sein Werk gebührend zu würdigen. Rosenthals Ideen finden bei uns große Resonanz. Ein Werk voller mutiger Farbe, unerwarteten Ideen, präzise geplant, modern, kritisch, voller Humor, verspielt und kontrastreich.






Rosenthal war zu seiner Zeit wohlbekannt: Die französische wie deutsche Presse präsentierte ihn als progressiven Gestalter vor allem für seinen Umgang mit Farbe in seinen Innenräumen und Möbelentwürfen, aber auch für seine weißen Villen, die sich gut in die zeitgenössische Strömung des Neuen Bauens einfügten. Es gibt Gründe, warum sein Name heute nicht bekannter ist: Viele seiner Arbeiten haben den Krieg nicht überlebt und seine Karriere in Deutschland wurde – wie sollte es anders sein – unterbrochen, aufgrund seiner Herkunft. Als er nach Palästina ins Exil ging, gab es in den kargen Siedlungsneubauten wenig Bedarf für seine anspruchsvollen Interieurs. Im England der Kriegs- und Nachkriegszeit war es ihm nicht vergönnt, seine Karriere wieder aufzunehmen, weil er dort als Deutscher galt. Zudem bevorzugte er hochweritge Materialien und feinstes Kunsthandwerk, während die von Historikern gepriesenen Architekten seiner Zeit günstige industrielle und funktionalistische Lösungen bevorzugten. Bis heute wird Innenarchitektur von den Architekturhistorikern nicht so ernst genommen wie die Hochbauarchitektur.




1928 stellte Rosenthal in Düsseldorf das „Wohnzimmer für ein berufstätiges Ehepaar“ auf der Möbelmesse aus – eine Konkurrenzveranstaltung zur Pariser Exposition internationale des arts décoratifs von 1925, von der deutsche Künstler wegen ihrer Beteiligung am Ersten Weltkrieg ausgeschlossen worden waren. Für die Ausstellung präsentierte Rosenthal ein für 1928 äußerst fortschrittliches Arrangement für ein berufstätiges Ehepaar. Sein Entwurf stellte ein Manifest für das Moderne dar. Es war eine ausdrückliche Kritik an einem ähnlichen Raum, welcher in der Villa Ephrussi de Rothschild in Saint-Jean-Cap-Ferrat in Frankreich (1907–12) zu finden ist. Ein verstaubtes, formales Ambiente für die französische Aristokratie. Er verwendete die gleichen Kubatur für das fest eingebaute Möbel, sowie für die freistehenden Möbel aus dem altmodischen, rückwärtsgewandten aristokratischen Umfeld des Rokoko-Revivals und modernisierte; vereinfachte und demokratisierte sie. Er entfernte die schweren, anachronistischen vergoldeten Ornamente und präsentierte das neue Wohnzimmer als etwas Simples, Egalitäres, Fortschrittliches, Integratives, Verfügbares – und dezidiert Modernes.






Zwei frühe Projekte Rosenthals erregten zu ihrer Zeit großes Aufsehen: das Landhaus Bab in Berlin-Wilmersdorf (1923–25) sowie das Haus Ernst Rosenthal (1923–25), dass er für seinen Bruder entwarf. Letzteres war die erste Villa mit Flachdach in Berlin – die öffentliche Kontroverse, die der Entwurf mit den Baubehörden auslöste, wurde von seinen progressiven Kollegen zur Kenntnis genommen. Die Plastizität des Baukörpers entsteht durch die Komposition aus Kuben, die mit der Materialität von Ziegeln und Putzflächen spielt – vielleicht beeinflusst von Frank Lloyd Wrights „Unity Temple“ von 1905 oder, was wahrscheinlicher ist, von den niederländischen Architekten, welche wiederum sehr von Wright beeinflusst waren. Im Inneren erkennt mann auch ein bisschen Loos. Das expressionistische Landhaus Bab hingegen wurde von einem zeitgenössischen Kritiker aus dieser Zeit als „ganz aus dem Geist der Gegenwart geboren“ gelobt. Rosenthal übernahm die gezackte Giebelformation, wahrscheinlich von Hans Poelzigs Luban Fabrik aus dem Jahr 1912, mit der er gut vertraut gewesen war, da sie in der Nähe von Rosenthals Elternhaus stand. Doch es war vor allem das Innere des Landhaus Bab, das Rosenthal Berühmtheit einbrachte: besonders farbintensiev, mit Wandpaneelen, festen Einbauten und maßgefertigten losen Möbelelementen. Er spielte mit unterschiedlichen exotischen Holzfurnieren und in einer „modernen“ Formensprache.






Für seine Wohneinrichtungen schuf Rosenthal ausgewogene Verbindungen zwischen der architektonischen Hülle, den Einbauten und dem freistehenden Mobiliar. Er gehörte – vor allem in Deutschland–zu den ersten Modernisten, die diesen traditionell bourgeoisen Ansatz adaptierten, was seine große Popularität in der Pariser Designpresse jener Zeit begründete. Rosenthal betrachtete den Innenraum als ein ganzheitliches Gestaltungsproblem und ordnete alle Einrichtungsgegenstände der aus der Architektur des Raumes abgeleiteten Gestaltungsidee unter; sei es in einer seiner freistehenden Villen, wo er für die gesamte Gestaltung verantwortlich zeichnete, oder bei einem Wohnungsumbau, bei dem er auf die vorgefundenen Gegebenheiten reagierte. Einer seiner kuriosesten Ideen war, Materialien von Möbeln auf Wände und Böden übergreifen zu lassen.






Haus Salzbrunn, Berlin-Schmargendorf, 1928–29. Das beste erhaltene Werk Rosenthals ist die Wohnanlage in der Salzbrunner Straße in Wilmersdorf. Es handelt sich um einen größtenteils zurückhaltenden Entwurf der Neuen Sachlich- keit – bis auf die ausdrucksstarken, geschwungenen Balkone an der Straßenseite, die den Block prägen. Alle Wohnungen hatten großzügige Grundrisse von 150–250 Quadratmetern. Rosenthal schrieb 1930: „Die Entwicklung der modernen Baukunst in den letzten zehn Jahren ist durch den Sieg der modernen Richtung gekennzeichnet. Der siegende ‘moderne’ Gedanke war dabei die von allem dekorativen Beiwerk abstrahierende Sachlichkeit, die, wenn sie nur richtig aus der vorliegenden Bauaufgabe abgeleitet war, zu charaktervollen Gestaltungen führte.“






Zwei Berliner Villen aus den späten zwanziger Jahren. Haus Schulze, Berlin-Wilmersdorf, 1927–30; der Baukörper mit geschwungenen und geraden Blöcken zeigt das reizvolle Spiel mit essentiellen und reduzierten Formen. Zu seiner Zeit aufregend und neu, stellt die Komposition Rosenthals Arbeit in eine Reihe mit vielen seiner Kollegen, die dafür später bekannt werden sollten. Das zweite Projekt, das Wohnhaus Eisner in Berlin-Dahlem von 1928-29, ist eine äußerst plastische Komposition, die auf jeder Seite unterschiedlich gestaltet ist. Das Projekt war ausgewählt worden, um Rosenthals Oeuvre auf dem Titelblatt einer Retrospektive zu repräsentieren, die 1930 auf dem Höhepunkt seiner Karriere stattfand. Es ist bedauerlich, dass diese Projekte den Krieg nicht überlebt haben–Rosenthal wäre andernfalls heute sicherlich bekannter.




Haus Arnold Zweig, Berlin, 1929-30. Dieses Haus wurde für den Schriftsteller Arnold Zweig gebaut, der vor allem durch seinen Antikriegsroman Der Streit um den Sergeanten Grischa von 1927 sowie seinen Briefwechsel mit Sigmund Freud bekannt wurde. Die Straßenseite zeigt einen nüchternen Kubus mit einer einzigen vertikalen Leerstelle; die Gartenseite präsentiert ein Spiel von Gittern und Kuben, die sich in Pergolen und anderen Gartenstrukturen auflösen. Der größte Teil von Rosenthals Werk wurde im Krieg zerstört, oder durch Umbauten stark beeinträchtigt, wie dieses Haus, das heute kaum wiederzuerkennen ist (siehe Fotovergleich).






Siedlungsbauten, Pardess Hanna (heute Israel), 1933–36. Rosenthal ging ins Exil nach Palästina und entwarf mehrere modernistische Häuser der Siedlung Pardess Hanna, südlich von Haifa. Er brachte das ganze Können eines Architekten und Innenarchitektens mit, der auf höchstem Niveau arbeitete. Aus dem klimatisch gemäßigteren Deutschland kommend, musste sich Rosenthal hier mit einem Klima auseinandersetzen, das ein komplexeres Spiel von innen und außen zuließ. Seine Entwürfe zeigen, welche Bedeutung Querlüftung in diesem neuen Klima hat. Im Exil stellen Rosenthals Häuser plastische Spiele von Körpern und Hohlräumen, Innen und Außen dar, die insbesondere von seinen Berliner Kollegen Erich Mendelsohn und Ludwig Mies van der Rohe beeinflusst sind. Doch sein Budget war sehr gering, und seine dortigen Auftraggeber hatten andere Bedürfnisse als die Berliner Klientel. Letztlich war er unzufrieden mit den Bedingungen, die er dort vorfand, und emigrierte nach Großbritannien.